Die internationale Forschungsgruppe CTAO LST, an der das Instituto de Astrofísica de Canarias (IAC) maßgeblich beteiligt ist, hat neue Erkenntnisse über den bislang hellsten je registrierten Gammablitz GRB 221009A vorgestellt. Die Ergebnisse sind in der renommierten Fachzeitschrift The Astrophysical Journal Letters erschienen. Grundlage der Veröffentlichung sind detaillierte Beobachtungen aus dem Jahr 2022 mit dem Prototyp des Large-Sized Telescope (LST-1) während der Inbetriebnahmephase am Observatorium Roque de los Muchachos auf La Palma. Die Messungen zeigten einen Hinweis auf einen Überschuss im Gammastrahlenfluss und liefern damit neue Einblicke in die komplexe Natur von Gammablitzen bei sehr hohen Energien. Die Resultate stützen theoretische Modelle, nach denen diese Explosionen strukturierte und mehrschichtige Jets erzeugen, in denen Teilchen beschleunigt werden.
Gammablitze gehören zu den energiereichsten Phänomenen im Universum und setzen in wenigen Sekunden mehr Energie frei als die Sonne während ihrer gesamten Lebensdauer. Sie treten in einer kurzen, intensiven Phase auf, die Sekunden bis Minuten dauert, gefolgt von einem Nachglühen, das innerhalb von Stunden oder Monaten abklingen kann. Gammablitze werden nach ihrer Dauer in kurze und lange Ereignisse unterteilt: Lange Gammablitze stehen vermutlich im Zusammenhang mit besonders hellen Supernovae, während kurze Blitze wahrscheinlich durch Kollisionen von Neutronensternen entstehen. Trotz ihrer Helligkeit sind diese extragalaktischen Quellen schwer bei höchsten Energien nachzuweisen, da die ausgesandten Gammastrahlen auf ihrem Weg abgeschwächt werden und die Ereignisse nur kurz andauern.
Gammablitz GRB 221009A auf La Palma beobachtet
Am 9. Oktober 2022 registrierten die NASA-Satelliten Fermi und Swift einen außergewöhnlich hellen und lang anhaltenden Gammablitz mit der Bezeichnung GRB 221009A. „Das Ereignis, auch als ‚BOAT‘ für Brightest Of All Time bezeichnet, war so intensiv, dass mehrere Messinstrumente überlastet wurden und weltweit Folgebeobachtungen auslöste“, erklärte Alicia López Oramas, IAC-Forscherin und Publikationsverantwortliche der LST-Kollaboration. „Der BOAT ist ein einmaliges Ereignis: Ein Gammablitz dieser Stärke tritt schätzungsweise nur einmal pro Jahrtausend auf“, ergänzte sie.
Das LST-1-Teleskop am Observatorium Roque de los Muchachos auf La Palma begann bereits 1,33 Tage nach der Explosion mit der Beobachtung des Ereignisses. In den folgenden 20 Tagen konnten die Forschenden einen Überschuss an Gammastrahlen feststellen. „Obwohl dieser Überschuss nicht ausreichte, um eine formale Entdeckung zu bestätigen, ermöglichte er dem Team, sehr enge obere Grenzwerte für den Fluss hochenergetischer Gammastrahlen festzulegen. Damit wurde ein wichtiger Schritt zum Verständnis konkurrierender theoretischer Modelle gemacht“, sagte Ramón García López, Leiter der CTAO-Gruppe am IAC.
LST-1 liefert neue Erkenntnisse zu Gammablitzen
Fachleute gehen davon aus, dass Gammablitze ultraschnelle Plasmastrahlen ausstoßen, die entweder von einem Schwarzen Loch nach einem langen Gammablitz oder von der Verschmelzung von Neutronensternen nach einem kurzen Blitz stammen. Der genaue Mechanismus hinter der Jet-Bildung ist jedoch nach wie vor ungeklärt. Die LST-1-Daten stützen die Theorie, dass GRB 221009A von einem komplexen, strukturierten Jet angetrieben wurde: Ein schmaler, extrem schneller Kern war von einer langsameren, breiteren Hülle umgeben. Das widerspricht dem bisher häufig angenommenen einfachen „Hut“-Modell und liefert neue Erkenntnisse über die Entstehung der Jets und das zentrale Antriebsaggregat.
„Bemerkenswert ist, dass die Daten auch unter sehr hellem Mondlicht gewonnen wurden, was für Cherenkov-Teleskope wegen der Empfindlichkeit ihrer Kameras eine große Herausforderung darstellt“, betonte Juan Cortina, IAC/CIEMAT-Forscher und Vorsitzender des LST-Lenkungsausschusses. Das helle Mondlicht nach der Explosion verhinderte schnelle Folgebeobachtungen durch andere Cherenkov-Teleskope, doch dank technischer Lösungen der LST-Kollaboration konnte LST-1 als erstes Teleskop die Quelle im hochenergetischen Gammastrahlenbereich beobachten. „Zum ersten Mal hat LST-1 unter solch schwierigen Bedingungen Daten gesammelt und damit neue Möglichkeiten zur Beobachtung kurzlebiger kosmischer Phänomene auch bei sehr hellem Mondlicht eröffnet“, ergänzte Cortina.
Neue Ära für die Astroteilchenphysik auf La Palma
Die Ergebnisse zeigen das Potenzial der modernen CTAO-Teleskope für die Erforschung des Universums bei sehr hohen Energien und markieren den Beginn einer neuen Ära, in der Forschende das Innenleben kosmischer Quellen mit bislang unerreichter Präzision untersuchen können. Während CTAO weiter wächst – die LST-Kollaboration installiert drei weitere LSTs am selben Standort und baut eine neue Anlage in Chile auf – werden bald in beiden Hemisphären Teleskope mit mittlerer Konfiguration einsatzbereit sein. Mit ihrer hohen Empfindlichkeit werden diese Teleskope die Erforschung von Gammablitzen und anderen extremen Phänomenen deutlich verbessern. Ergänzend sorgt der erfolgreiche Einsatz automatischer Alarmsysteme für noch schnellere Reaktionen auf transiente Ereignisse.
Die LST-Kollaboration von CTAO ist ein sogenannter In-Kind Contributor (IKC) von CTAO und für den Bau der Großteleskope verantwortlich. Ihr gehören mehr als 400 Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Ingenieure aus 67 Instituten in elf Ländern an: Brasilien, Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Polen, Spanien und der Schweiz.